Sorei hat mich gebeten, diesen Teil, in dem es um sie gehen soll, zu schreiben. Sie sagt, es wäre überheblich und anmaßend, wenn sie über sich schreiben würde. Damit hat sie Recht. Also schreibe ich, Theiwia, diesen Kommentar.

Ich kenne Sorei seit dem Tag ihrer Geburt. Ich habe sie entbunden, wie auch ihre Mutter zuvor und auch deren Mutter. Ich habe unzählige Aijnan entbunden. Aber erst durch Sorei entstand eine tiefere Bindung zu der Familie.

Sehr schnell spürte ich, dass die kleine Sorei ein unglaubliches magisches Potential besaß. Ihre Eltern waren natürlich sofort einverstanden, dass ich das Kind in meine Obhut nahm. Ich hatte damals schon einen gewissen Ruf weg. Wie auch immer, ich übernahm ihre Ausbildung und über weite Strecken sogar ihre Erziehung. Leider musste ich erkennen, dass Sorei kaum eine Begabung in der Heilmagie besaß. Dafür war sie ein Naturtalent was die Kampfmagie anging. Es bedurfte nur wenige Lektionen mit einer Weisen Frau, die in der Kunst der Kampfmagie versiert war, denn Sorei lernte unglaublich schnell. Das aber war auch schon das ganze Positive, das man über sie in ihrer Kindheit sagen kann. Sie war eigensinnig, störrisch, aufsässig und vorlaut. Autoritäten konnte sie sich nicht beugen, was dazu führte, dass sie die Hälfte der Woche nicht auf ihrem Hintern sitzen konnte vor Schmerzen.
Das änderte sich alles schlagartig, als sie des Clanhäuptlings Sohn Madhar kennen lernte. Sie war damals 12 oder 13 Jahre alt und gerade zur Frau gereift. Obwohl es nicht unüblich war, ist es doch eher selten gewesen, dass sich ein Paar so jung vermählt. Derweil muss ich noch erwähnen, dass Madhar 16 Jahre alt war. Die beiden Familien arrangierten die Hochzeit, wobei das nicht gezwungen war, denn die Kinder liebten sich wirklich. Vielleicht ein Jahr später gebar Sorei ihren ersten Sohn.
Zum einen war ich über die Entwicklung erfreut, denn Sorei hatte sich beinahe vollkommen geändert. Plötzlich konnte man sie führen, sie lenken. Sie hörte aufmerksam zu, ertrug vorbildlich Kritik und war Argumenten plötzlich aufgeschlossen.
Zum anderen aber konzentrierte sie sich kaum mehr auf ihre Ausbildung. Sie verbrachte viel mehr Zeit mit ihrem Mann und ihrer beständig wachsenden Familie, als mit den Lektionen ihrer Ausbildung. Deswegen war sie relativ alt, als sie die Prüfung zur Weisen Frau ablegte. Ganz genau weiß ich es nicht mehr, aber ich glaube sie hatte die 30 schon überschritten. Wenn man bedenkt das eine Schülerin Anfang 20 ist, wenn sie zur Weisen Frau wird, ist Anfang 30 wirklich sehr spät.

Je älter sie wurde, je länger sie mit Madhar zusammen war und je öfter sie Mutter wurde, desto stärker und souveräner wurde sie. Als dann ihr Mann Clanhäuptling wurde, war es überhaupt nicht mehr verwunderlich, dass sie an seiner Seite stand und mit ihm die Geschicke des Clans lenkte. Sorei wurde sehr schnell zu einem leuchtenden Vorbild für viele Frauen. Sie übernahm nicht nur eine große Verantwortung in der Führung des Clans und war dabei auch noch vielfache Mutter, nein, sie übernahm, wie selbstverständlich, nebenbei auch noch die Führung der Weisen Frauen. Zu keiner Zeit schien sie überfordert, nie war sie unausgeglichen oder ärgerlich oder gar laut. Stets hatte man den Eindruck, dass sie alles im Griff hatte. Und ich muss es schließlich wissen, denn mit der Zeit sind wir die besten Freundinnen geworden. Außerhalb ihrer Familie verbrachte sie mit niemand anderen soviel Zeit wie mit mir. Und Tatsache ist, dass es nicht nur so schien, als ob sie alles im Griff hatte. Sie hatte alles im Griff. Ich erinnere mich, dass ich des Öfteren mich mit Madhar unterhielt, und er es nicht fassen konnte, dass seine Frau so … perfekt war. Natürlich merkte er, wie ich, dass Sorei dabei nach außen hin kühler und auch härter wurde, aber das erschien uns nur natürlich.

Als ihre beiden ältesten Söhne im Jahre 25 vdW im Kampf getötet wurden, sahen Madhar und ich, wie sehr wir uns getäuscht hatten. Mit stoischer Ruhe nahm Sorei die Nachricht vom Tod ihrer Söhne entgegen. Sie sagte kein Wort, vergaß keine Träne und trauerte nicht eine Sekunde sichtbar. Madhar dagegen war am Boden zerstört. Es dauerte sehr lange bis er es akzeptieren konnte, dass seine zwei Ältesten Tod sind. Sorei jedoch machte weiter. Während ihr Mann trauerte, lenkte sie den Clan weiter.

Auch als im Jahr 15 vdW ihr Mann vom Schattenläufer getötet wurde und zwei ihrer Töchter während dem Marsch nach Ahinjamuhr fielen, trauerte sie nicht, vergoss keine Träne. Sie machte weiter, weil sie weitermachen musste. Ob sie bis heute immer noch nicht getrauert hat, dass verrate ich nicht, denn das geht wirklich niemanden etwas an.

Nachdem ihr Mann getötet wurde, half sie Somiad bei seiner Aufgabe den Clan zu führen. Später dann auch Elethan, solange bis dieser erwachsen war.

Ihr ganzes Leben stand und steht die Familie an erster Stelle. Dann kommt das Volk und erst dann, sehr weit hinten, kommt sie. Das hat dazu geführt, dass sie heute vor einem Problem steht. Ihre Kinder sind erwachsen und ausgezogen, sie leben ihr eigenes Leben. Selbst ihr jüngster Ghimad ist nicht mehr zu Hause, weil ihn sein Dienst bei der Sandwehr an den Freihafen verschlagen hat.
Ihre und auch meine Tage im Rat des Baumes sind gezählt, sobald der Turm der Weisheit steht. Und ob sie in den Rat gewählt wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Ich persönlich glaube, dass sie das auch gar nicht will.
Da Elethan sich eine andere Beraterin gesucht hat, ist sie da auch nicht mehr gefordert.
Einzig die Bibliothek, die sie ins Leben gerufen hat, könnte sie dann noch beschäftigen. Aber so viele Geschichten tauchen ja auch nicht täglich auf, und vor allem hat sie dort viele helfende Hände.

Ich glaube jedoch, dass sie die Zeit, die sie bald zur Verfügung hat, mit Aroth verbringen wird. Aroth ist der Reiter, der in Abwesenheit von Munath die Geschicke der Vogelreiter in Ahinjamuhr lenken soll. Sorei hat ihn bei sich aufgenommen, als sie merkte, dass der Steppenkrieger ein wenig unbeholfen in der Stadt wirkte. Mit der Zeit entwickelte sich zwischen den beiden etwas, was noch nicht vollkommen klar ist. Aber sobald die beiden viel mehr Zeit miteinander verbringen werden, glaube ich, dass die Aijnan ein wunderschönes Liebespaar mehr bewundern können.



Zusatz von Sorei:

Lehne dich nicht zu weit über die Klippe was Aroth und mich betrifft, liebste Freundin.



Anmerkung von Theiwia:

Jetzt verstehe ich, was du damit gemeint hast, dass es sehr nervig ist, wenn jemand unter deinem geschriebenen irgendwelche Zusätze schreibt.
Keine Sorge. Ich lehne mich nicht weit raus, ich kann nur sehr gut beobachten.




Anmerkung von Theiwia:

Na was habe ich gesagt? Der Turm der Weisen Frauen steht, der Rat wurde gewählt und hat Sorei dabei nicht berücksichtigt. Aber das war vorher schon klar. Was aber noch viel spannender ist, ist die Tatsache, dass Aroth und Sorei ein offizielles Paar sind. Maßgeblich dazu beigetragen haben ihre Töchter, die eine wundervolle Tanzvorführung eben jenem Thema widmeten. Es hat geklappt, wie sie es sich gedacht hatten. Jetzt darf man gespannt sein, was Sorei mit ihrer gewonnenen Zeit anstellt. Das Gerücht kommt auf, dass sie und Aroth gemeinsam an der Spitze seiner Horde reiten werden. Also das Glaube ich erst, wenn ich es sehe. Sorei auf einem Vogel, aber ich habe auch schon sehr viel Seltsameres gesehen.




Zusatz von Sorei:

Das ich nicht in den Rat gewählt wurde, macht mir eigentlich nicht wirklich etwas aus. Viel zu lange schon opferte ich all meine Kraft und meine Zeit meiner Familie und meinem Volk. Dennoch muss ich auch zugeben, dass ich ein wenig Angst habe. Was mache ich mit der ganzen Zeit, die mir jetzt zur Verfügung steht? Dann lasse ich den Gerüchten mal freien Lauf. Früh genug werden alle erfahren, was ich machen werde.