Von den Aijnan und dem Verlassen der Welt


Munath, der Clanführer der Vogelreiter, steht auf und geht in die Mitte der Versammelten. Er dreht sich einmal im Kreis und sieht den Rat des Baumes an. Dann beginnt er zu sprechen. Es klingt eher, als würde er rezitieren. Seine Stimme erhält eine Melodie und seine Worte reißen auf, dringen tief und öffnen die Pforten zu einer längst vergessenen Zeit:
„Schwestern und Brüder nun ist es Zeit, dass ihr erfahrt wer wir waren, was wir wurden, wie wir wurden und was wir sind.“ Er macht eine kleine Pause. Dann spricht er weiter; in dem gleichen, melodiösen Singsang.
„Einst kamen wir von weither und unser Volk nannte sich Galater. Aber wo wir lebten, war es nicht mehr so, wie wir es wollten und so zogen wir aus. Viele halfen uns dabei. Wesen, die für uns Teil von Geschichten und Sagen waren und das, obwohl die Zeit unseres Auszugs selbst schon so weit zurück liegt, dass es fast nur Sage und Legende ist. Wir kamen hier her, in eine Wüste, nicht viel Land des Grüns, wie wir es kannten und doch war es das Land, in dem wir fortan leben sollten und wollten.
All dies, Schwestern und Brüder, war vor weit mehr als 7.000 Jahren. Wir ließen uns hier, wo wir jetzt sind, nieder, denn da war diese Quelle und kaum, dass wir unsere ersten Zelte errichteten, erwuchs langsam aus der Quelle ein wunderschöner Baum, der nach nur einem Jahr 13 Äste trug, der jeder für sich unterschiedliche Blüten in den schönsten Farben zum erblühen brachte. Schnell dachten wir, dass unsere Freude daran hier zu leben auch mit dem Wasser der Quelle zusammenhängen muss, denn unsere Freude war wider aller Vernunft in dieser kahlen Wüste, die viele Opfer forderte und uns auch klar war, dass viele folgen würden.
Es kamen die Jahre des Aufbaus und in diesen Jahren lernten wir unsere Schwestern und Brüder der anderen beiden Völker kennen: Die Zwerge und die Elben. Wider allen Erfahrungen sonst wo auf der Welt haben diese beiden Völker schon seit langer Zeit in Frieden und Freundschaft hier auf Thrumumbahr miteinander gelebt, haben sich unterstützt, Handel getrieben und sich sogar ergänzt. Sie nahmen uns freundlich auf und boten uns die gleiche Freundschaft an, die schon zwischen ihnen lebte. Wir nahmen sie an und sie halfen uns, wo sie nur konnten. So wurden wir ein Dreigestirn der Zusammenarbeit in dem jeder seinen speziellen Platz hatte. Ein Vertrauen entwickelte sich, wie es vielleicht kein Zweites irgendwo auf der Welt gab und wir wurden abhängig voneinander, jedoch in einer Art, die für jeden der drei Völker zu großem Vorteil gereichte.
Zuerst waren wir alle Eins und vieles mussten wir organisieren und langsam bildeten sich die Kasten heraus, die später zu den Clans wurden. Es gab den Clan der Salzer, den Clan der Bauern, den Clan der Jäger, den Clan der Speere und den Clan der Speermacher, den Clan der Händler, den Clan der Denker, den Clan der Baumeister und den Clan der Wasserfinder, den Clan der Seider, den Clan der Weber, den Clan der Friedensstifter und den Clan der Vogelreiter. 1.000 Jahre brauchten wir bis zu diesem Tag und fortan nannten wir uns Aijnan und nicht mehr Galater, denn ein eigenes Volk waren wir geworden und der Baum blühte in den schönsten Farben und erwuchs zu gewaltiger Größe.
Dies war die Zeit, wo Dinge zu geschehen begannen, die mehr Einfluss auf unser aller Zukunft nehmen würde, als wir je dachten, denn einige Frauen begannen die Gaben der Göttin zu erhalten. Sie könnten Dinge mit der Kraft ihres Geistes wirken, wie es bekannt war von den Elben und auch im kleineren Maße von den Zwergen, aber niemals bei den Galatern und auch nicht dann bei uns; den Aijnan. Sie wurden die Weisen Frauen, denn die Magie wurde stark in ihnen. Zwar anders, als es je zuvor war, denn sie konnten ihre Gaben nur speziell und in gewissen Rahmen ausüben, aber allein weil sie es konnten, wurden sie als von der Göttin angelächelt betrachtet.“
Er seufzt kurz, fährt dann aber weiter singend fort.
„Hätten wir damals gewusst, welches Leid, wie viel Blut und wie viele unzählige Tränen daraus erwachsen würden, so wünschte ich in mancher stiller Nacht, die Frauen hätten von ihrer Gabe nie auch nur ein Wort einem Mann gegenüber gesprochen und ihre Gaben im Stillen und Geheimen eingesetzt und ihre Gabe unter die Geheimnisse gezählt derer sie viele haben und die sie so vortrefflich seit ehedem vor uns Männern geheim zu halten vermögen und sie uns nur mit einem Lächeln anblicken, wenn wir Männer einmal Worte in diese Richtung verlauten lassen.
Weitere Tausend Jahre lebten wir in Frieden und wuchsen und wurden Schön an Geist und Körper. Lebten in Frieden und Harmonie mit unseren Schwestern und Brüdern der Elben und Zwerge und waren eine gewaltige Familie. In dieser Zeit erfolgte die Spaltung des 13. Clans. Denn die Vogelweiden waren weit im Norden, in den Steppen Thrumumbahrs und so zogen wir dorthin. Aber niemals wurde unsere Liebe zu den anderen schwächer oder geringer und ein stetiges Kommen und Gehen war zwischen den 12 und dem 13. auf den Straßen, die die Zwerge uns extra dafür erbauten. Dann aber, vor 5.000 Jahren, kam er: Der Feind; die Seevicya. Ein Volk hervorgegangen aus den Vicya, die wie die Zwerge in den Tiefen der Berge leben, aber sonst eher den Elben gleichen, auch wenn ihr Haar weiß und ihre Haut schwarz ist.
Ohne Vorwarnung griffen sie uns an, in all ihrer Macht, Kampf und Krieg gewohnt und wir dagegen nur ab und an mit unseren Freunden, den Elben, gegen Piraten vorgehend oder großen Sippen von wilden Tieren der Wüste bekämpfend, die unsere Felder bedrohten und nicht geschützt in Ahinjamuhr wohnten. Der Hafen wurde überrannt und schon standen sie an der Grenze Ahinjamuhrs und drangen ein, denn aufzuhalten vermochten wir sie nicht. Da aber eilten uns die Elben und Zwerge zur Hilfe und gemeinsam fegten wir den Feind aus Ahinjamuhr, durch die Wüste und zurück auf das Meer. Als die Sonne wieder aufging, war der Sand rot vom Blut der Feinde, aber auch von unserem Blut. Dem Blut der drei Völker. Abertausende waren getötet, Abertausende verstümmelt oder nur verwundet. Unzählige Tränen weinten wir, denn niemand trauerte nicht um Freund, Vater, Mutter, Tochter, Sohn, Bruder und Schwester und der Clan der Speere war fast gänzlich ausgelöscht und nur eine Handvoll ihrer Schwestern und Brüder hatten überlebt.
Die Schlacht des Ewigen Schmerzes wird sie seitdem genannt und niemand wird sie je vergessen. Keiner wusste, wie wir dieses Leid jemals würden überwinden können würden, aber dann stellten wir fest, dass jeder, der vom Wasser des Baumes trank wieder heil wurde und Herz und Seele wieder Kraft und Leben erhielt und der Schmerz nur noch ein dunkler Schatten in einer tiefen Erinnerung war. Da endlich begriffen wird, dass der Baum ein Teil der Göttin auf Erden und das Wasser mit ihrer Liebe durchsetzt ist. Das es ihr Wille ist, dass wir hier leben. Fortan ward der Baum das Heiligste ganz Thrumumbahrs und willig gaben wir sein Wasser an jeden, der davon trinken mochte. Aber auch klar war uns, dass die Seevicya genau dies haben wollten.“
Er ballt seine Faust.
„Niemals würden wir unser Heiligtum, IHR Herz in die Hand des Feindes fallen lassen, denn niemals würde Gutes daraus erwachsen können. 900 Jahre führten wir so Krieg und mit dem Blut der Drei verteidigten wir den Baum gegen den Feind. Niemals mehr schafften die Vicya es auch nur mehr als einen Brückenkopf auf unserem Land zu errichten. Und auch diese vernichteten wir rasch. Trotzdem war der Blutzoll hoch – sehr hoch.
Dann aber, wir wissen nicht wie und wann genau und auf welchen Wegen, wählten die Vicya einen anderen Weg ihres Kampfes gegen uns. Ihre Einflüsterungen begannen und sie trafen auf offene Ohren bei den Männern Ahinjamuhrs, die tief im Herzen den Neid auf die Gaben der Weisen Frauen trugen und ihnen die Gabe der Göttin neideten. Die Vicya versprachen ihnen eben diese Gabe – der Feind hielt Wort! Aber die Gabe verwirrte die Geister der Männer und bald schon wurden sie wahnsinnig, all jene, die den Einflüsterungen Glauben schenkten und sich ihrer dunkeln Magie verschrieben und Sklaven der Vicya wurden.
Ob die 13. den Seevicya unwichtig waren und nie einer unsere Männer verführen wollte oder unsere Ohren durch das raue Leben in der Steppe härter waren, als die Ohren der Städter, das wissen wir nicht, aber nie verfielen wir den Einflüsterungen und immer mehr trennten wir uns von einander, spalteten uns wirklich. Bald schon war Ahinjamuhr fast ganz von uns, aber auch den Elben und Zwergen, getrennt und wir weinten viele Tränen um unsere Freunde, unsere Familie und es war, als würde uns das Herz herausgerissen.
Im geheimen nun bildeten die 12 jeder für sich Speere aus und dann kam der Tag, als Ahinjamuhr brannte, als der Neid und Hass offen ausgetragen wurde und Aijnan gegen Aijnan kämpfte, der Bruder die Schwester tötete und umgekehrt.
Dort standen wir, der 13. Clan, die Zwerge und die Elben, auf eben jener Düne, auf der wir vor so wenigen Tagen standen und weinten um das, was unter unseren Augen geschah. Doch was sollten wir tun? So wandten wir uns zerstört im Herzen ab. Da bebte der Boden und Blitze zuckten vom Himmel und der Tag wurde zur Nacht und als wir uns wieder umdrehten war sie fort, waren die Aijnan fort, war der Baum und sein Wasser nicht mehr. Und Nacht senkte sich auf die Herzen aller die es sahen und keine Hoffnung war mehr da.“
Er macht eine kleine Pause und dreht sich einmal um seine Achse, um in dieser Zeit seine Worte wirken zu lassen. Dann spricht er weiter.
„Alles schien da verloren, doch die Vicya kamen nicht, denn fort war weswegen sie uns immer und immer wieder angegriffen haben und nur Scharmützel waren es noch auf offener See, die wir immer gemeinsam mit den anderen zwei Völkern gegen sie Ausfochten, denn die Elben waren unsere Lebensader auf hoher See. Obwohl das Wasser fort war, war uns die Zeit gegeben wieder aufzubauen, was zerstört und zu heilen, was so tief verwundet wurde. Auch wenn es jetzt länger dauerte, viel länger ohne das Wasser. Die Vicya aber waren fortan nur noch der große Feind, dem wir niemals würden verzeihen können, was er getan hat.
In diesen Jahren plötzlich kam sie, die Seherin Lathandra und überall, wo sie sprach, weckte sie die Herzen und gab allen, egal ob Elb, Zwerg oder Aijnan, wieder Hoffnung. Sie sprach davon, dass nicht alles verloren ward, dass eine Zeit kommen würde, da wieder alles ganz und heil sein würde, das die Göttin uns nicht strafte für die Verfehlungen der 12, sondern das sie errettet worden seien. Auch wenn unsere Brüder und Schwestern durch ein Tal der Tränen und des Schmerzes gehen würden, so würden sie auf diesem Weg läutern und an dem Tag, an dem sie Erkennen würden, wäre der Tag, an dem sie wiederkehren würden.
Niemals müde wurde sie davon zu erzählen und ihr und den 12 zu ehren errichteten wir die Stele der Erinnerung an dem Platz, an dem der Baum einst wuchs.
Und heute stehen wir hier und alles Mühen Lathandras ist erfüllt und alle unsere Hoffnungen sind wahr und da. Aber da ich um unsere Schwäche weiß und ich nicht will, dass je wieder geschieht, was geschah und ich wünsche, dass das Licht der Aijnan wieder erstrahlen mag wie einst und es wieder aufgeht in dem Licht des Dreigestirns der drei Völker, gebe ich hiermit bekannt, dass ich mich um einen Sitz in diesem Rat unseres Volkes bewerbe. Mag die Göttin mir die gleiche Kraft wie Lathandra einst geben, damit ich niemals schwach werde und immer die Kraft habe zu erinnern und zu mahnen und zu erkennen, allen die Kraft geben kann eher ihre Ohren abzuschneiden, als noch einmal einem Wort der Vicya zu lauschen. Das ich all mein Sein und all mein Leben in den Dienst unseres Volkes stellen kann! Denn so viel Licht eure Rückkehr bringt, so wird nun auch wieder der Schatten erwachen, denn nicht nur ihr seid zurück, sondern auch der Baum und sein Wasser und die Göttin lebt wieder mitten unter uns.“
Er sackt regelrecht in sich zusammen und sagt nur leise. „Danke.“